Warum Vollzeitarbeit in Deutschland sich nicht lohnt

Arbeite mehr, dann hast du auch mehr. So sollte es zumindest sein. Doch in Deutschland bestraft der Staat den, der mehr verdient – wie eine Rechnung des Ifo-Instituts zeigt. Kein Wunder, dass Fachkräfte Mangelware sind - Mehrarbeit wird steuerlich bestraft.

© Fotolia

Der SWR hat zu Beginn des Jahrhunderts seine studentischen Mitarbeiter wöchentlich bezahlt. Das gab einen interessanten Einblick: In der ersten Woche des Monats blieben ihnen von 700 Euro brutto rund 630 Euro netto. Doch mit jeder weiteren Woche mussten sie höhere Steuern zahlen, auch nachträglich für die Wochen davor. Das führte dazu, dass ihnen in der vierten Woche von 700 Euro nur noch knapp über 100 Euro übrigblieben. Wer wöchentlich bezahlt wurde, sah: Die vierte Woche ist für den Staat.

Das Ifo-Institut hat für das Handelsblatt jetzt ähnliche Zahlen errechnet. Als Beispiel nahm das Institut ein Paar mit zwei Kindern. Doppelverdiener mit gleichem Einkommen. Zwei Kinder von fünf und neun Jahren. 1095 Euro Miete und 140 Euro Heizkosten. Das Ergebnis zeigte die gleiche Erkenntnis auf, die studentische Mitarbeiter des SWR schon vor gut 20 Jahren hatten:

Ab der vierten Woche arbeitet der Deutsche fast nur noch für den Staat. Ob das Paar zusammen 3500 oder 5500 Euro brutto verdient, macht netto keinen Unterschied. Selbst wer nur 2500 Euro brutto verdient, hat in der Rechnung dank staatlichen Transferzahlungen gerade mal rund 200 Euro weniger an Geld zur Verfügung. Staatliche Leistungen wie das Wohngeld machen es möglich.

Das Beispiel des Ifo-Instituts zeigt: Wer mehr verdient, den bestraft der Staat in Deutschland sogar. Wenn das Paar aus der Rechnung brutto 4000 oder 4500 Euro verdient, hat es netto tatsächlich weniger Geld, als wenn es 3500 Euro brutto verdient. Das heißt: bloß im Job nicht anstrengen. Denn wer sich eine Gehaltserhöhung erwirbt, dem lässt der Staat weniger als jemandem, der sich nicht anstrengt. Leistung muss sich lohnen, sagt die FDP – Leistung lohnt sich nicht, sagen die Abzüge.

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Kommentare ( 70 )

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johnsmith
10 Monate her

Das ganze System ist krank. Bürgergeld, Wohngeld und aufstockende Grundsicherung wird inzwischen so inflationär ausgeteilt, dass bizarre Fehlanreize gesetzt werden. Eigentlich sollte der Mindestlohn so gesetzt sein, dass man davon ohne staatliche Zuschüsse oder Subventionen leben kann. Das Bürgergeld sollte eine reine Nothilfe sein und nicht so komfortabel ausgestaltet, dass 80% der Ukrainer hier darin dauerhaft verbleiben statt zu arbeiten. Leider ist das alles wegen der Rechtsprechung des BVerfG so gut wie gar nicht politisch änderbar, denn das BVerfG leitet den Anspruch auf Sozialhilfe direkt aus der Menschenwürdegarantie ab, so dass der Anspruch aufgrund des juristischen Tricks im GG mit… Mehr

honky tonk
10 Monate her
Antworten an  johnsmith

Naja das BVerfG interpretiert das GG eben nach Gutdünken.

Don Didi
10 Monate her
Antworten an  johnsmith

Bis auf den Mindestlohn stimme ich zu. Der ist so nicht machbar, Lohn ist kein Wunschkonzert, Lohn muß erarbeitet werden. Wenn ein Kellner in der Stunde Bier für 40€ verkauft, wovon nach Einkauf, Steuer, Pacht und Energie 8€ beim Wirt hängen bleiben, kann er dem Kellner keine 12€ zahlen. Das ist in vielen anderen Jobs ebenso, wo der Arbeitnehmer das Mindestgehalt nicht erwirtschaftet. Für Realisten: Wenn das Eichhörnchen im Herbst nur 70 Nüsse für den Winter sammelt, kommt auch keiner und sagt, die Mindestnüßchenzahl für Eichhörnchen ist aber 120 und alle anderen Eichhörnchen müssen für das eine Faule mitarbeiten und… Mehr

Gernoht
10 Monate her

Mir hat die Coronazeit die Augen geöffnet, als meine Firma Freiwillige für eine Kurzarbeit (-20 %) gesucht hat. Da gab es noch eine Kompensation, so daß ich netto praktisch keine Verluste hatte. Beim weiteren Nachrechnen fällt einem dann die Segnung der Steuerprogression auf. Seitdem arbeite ich nur noch 80 % und werde demnächst mit 63 in Rente mit Abzügen gehen.

Gernoht
10 Monate her

Man könnte das auch umdrehen: Freizeit lohnt sich. Einschränkung: Wenn man es sich leisten kann oder seine Ansprüche etwas einschränkt. Ich kann damit gut leben.

Oliver Koenig
10 Monate her

Leistung lohnt sich doch in Deutschland, sagt der geniale deutsche Ökonom Habeck.
Nur die Zahlen sind halt schlecht.

Innere Unruhe
10 Monate her
Antworten an  Oliver Koenig

Das Geld ist nicht weg, es hat nur jemand anders… oder so ähnlich verhält es sich mit der Leistung.

Wolfram_von_Wolkenkuckucksheim
10 Monate her

Das dachte ich mir auch. Ich kenne Diplom-Informatiker, die mit 2450 € pro Monat starteten im Jahre 2010. Das war bei einer Softwarebude, die meinte, in den neuen Ländern könnte sie solche Gehälter durchsetzen. Ich kannte aber auch Fälle für Diplominformatiker mit 2850 € brutto im Westen.

Wolfram_von_Wolkenkuckucksheim
10 Monate her

Ja, das ist schlimm. Ich möchte von meiner Kollegin aus der Elfenbeinküste erzählen, die mit Mitte 30 bei uns eine Ausbildung zur Fachinformatikerin machte. Sie war auch erfolgreich und ist immer noch dabei. Sie zeigte mir ihren ersten Gehaltszettel und sagte: „Dann hätte ich ja weiterhin Hartz IV beziehen können.“ – Sie fand die Abzüge irre und sie sind auch irre. Wir Deutschen scheinen das als zu normal zu empfinden. Ich riet ihr von solchen Gedanken ab, denn es ist zu kurzfristig gedacht. Durch die Arbeit hat sie vielleicht nicht signifikant mehr Geld in der Tasche, aber es geht auch… Mehr

mediainfo
10 Monate her

Danke für den Denkanstoß. Rein zufällig habe ich darüber bereits heute morgen nachgedacht.

giesemann
10 Monate her

Zu Anfang eines jeden Jahres steigen in der Regel die Beitragsbemessungsgrenzen in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung – so auch zum 1. Januar 2024: In der gesetzlichen Krankenversicherung stieg sie bundesweit einheitlich auf jährlich 62.100 Euro beziehungsweise 5.175 Euro im Monat (2023: 59.850 Euro oder 4.987,50 Euro/Monat).  Die Versicherungspflichtgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung beläuft sich auf jährlich 69.300 Euro beziehungsweise monatlich 5.775 Euro (2023: 66.600 Euro oder 5.550 Euro im Monat).  Auch die Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung ist Anfang des Jahres gestiegen: in den neuen Bundesländern auf 7.450 Euro im Monat (2023: 7.100/Monat), in den alten Bundesländern auf 7.550 Euro im Monat (2023: 7.300 Euro/Monat). Quelle:… Mehr

Alleswasrechtist
10 Monate her

Ein altbekanntes Problem, das nun aber in den „modernen“ Trend paßt, Leistung erst gar nicht zuzulassen bzw. aus Gleichmacheridealen nicht zu messen. Geradezu genial der Vorschlag der Superlinksgrün-Koryphäe Esken, die „Reichen“ (noch) stärker zu besteuern. Teilzeitler und Arbeitslose werden die neuen Könige von (früher) Deutschland sein! Zu was nur ist die frühere (Fach-) Arbeiterpartei verkommen?

Waldorf
10 Monate her

Dank Union und SPD seit vielen Jahren Steuer- und Abgabenweltmeister oder Vize, egal. Und der Witz ist, dass die seit Jahrzehnten für den Raubzug gegen die Bevölkerung verantwortlichen „Etablierten“ aka Union, FDP und SPD (plus ein paar Jahren auch Grüne), von den Ausgeraubten stoisch wiedergewählt werden, als ob es erst seit 10 Jahren eine Alternative dazu gäbe. Auch vor der AfD standen auf jedem Wahlzettel viele andere Parteien. Und seit es die AfD gibt, erreicht sie irgendwas um ca 10-30 in Bund oder Länder, respektabel, aber 70-90% wählen immer noch ihre Raubritter, Schlächter, Altersarmutgaranten, NieHausbesitzerwerdengaranten, Nieschuldenfreiwerdengaranten – weil die ja… Mehr